Doktorandenpreis der Europäischen Physikalischen Gesellschaft für IPP-Wissenschaftler
Dr. Andrea Pavone für seine Doktorarbeit über schnelle Datenanalyse ausgezeichnet
Dr. Andrea Pavone vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald wurde für seine Doktorarbeit „Machine learning approximation of Bayesian inference in nuclear fusion“ mit dem Plasmaphysik-Doktorandenpreis 2021 der Europäischen Physikalischen Gesellschaft (EPS) ausgezeichnet. In Anerkennung herausragender Forschungsleistungen vergibt die EPS-Abteilung Plasmaphysik jährlich bis zu vier Preise an junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus ganz Europa.
In seiner Arbeit im IPP-Bereich „Stellarator-Heizung und -Optimierung“ beschäftigte sich Andrea Pavone mit der Datenanalyse bei Fusionsexperimenten. Um das komplexe Plasmaverhalten zu beschreiben, sind viele verschiedene Messungen auszuwerten und miteinander zu kombinieren. Er suchte daher nach einem Weg, modernste Auswertemethoden zu nutzen, aber übermäßigen Bedarf an Rechenkapazität zu vermeiden, und fand einen völlig neuen Ansatz: Er beschleunigte die sogenannte Bayes’sche Datenanalyse mit Hilfe neuronaler Netze. Dies könnte die Anwendbarkeit der Methode erheblich steigern.
Andrea Pavone begann mit der Bestimmung vom Temperaturprofilen im Plasma der Fusionsanlage Wendelstein 7-X: Hier werden die Temperaturen der Ionen und Elektronen des Plasmas unter anderem anhand des Röntgenlichts bestimmt, das schwere Ionen wie Argon aussenden. Es wird entlang vieler Sichtlinien von Detektoren beobachtet. Aus der Verbreiterung der Emissionslinien lässt sich die Ionentemperatur, aus den Linienverhältnissen die Elektronentemperatur bestimmen.
Die Bayes’sche Analysemethode nutzt Vorwärtsmodelle: Sie geht aus von den zunächst unbekannten Plasmakenngrößen, die – rechnerisch sehr aufwändig – so lange variiert werden, bis die auf ihnen fußenden physikalischen Vorgänge das Messergebnis reproduzieren. Im gegebenen Fall waren also die atomaren Prozesse der Röntgenemission, ihr Aufsummieren entlang der Sichtlinien und die vielen Funktionsdetails des Röntgendetektors rechnerisch zu berücksichtigen. Um auf diese Weise einen einzelnen Satz von Profilen für die Ionen- und die Elektronentemperatur zu finden, benötigt eine leistungsfähige Workstation etwa eine halbe Stunde. Der Detektor liefert jedoch über viele Minuten hinweg alle zehn Millisekunden Daten – was die Bayes’sche Methode extrem zeitaufwändig macht.
Hier kommt der neue Ansatz von Andrea Pavone ins Spiel. Es gelang ihm, die benötigte Zeit von 30 Minuten auf Millisekunden zu senken: Ein neuronales Netz übernahm die Rechenaufgabe. Zum Trainieren des Netzes genügt dabei allein das Vorwärtsmodell; Messdaten werden dafür nicht benötigt. Während das Vorwärtsmodell an realen Daten getestet wurde, konnte Andrea Pavone zeigen, dass für das Training des neuronalen Netzes synthetische Daten ausreichen.
In weiteren Schritten übertrug er die Methode auf eine andere Fusionsanlage – JET in Großbritannien – und auf ein anderes Messverfahren, nämlich die Bestimmung der Elektronendichte per Lithiumstrahl-Spektroskopie. Dabei konnte er nicht nur die Analyse extrem beschleunigen, sondern auch die Aussagekraft der Messergebnisse verbessern.
Sein Ansatz, synthetische Daten zu verwenden, die durch das Vorwärtsmodell für das Training des neuronalen Netzes erzeugt werden, könnte die Automatisierung der Analysemethode möglich machen. Dies wäre für künftige Anlagen wie ITER sehr interessant, weit über die Fusionsforschung hinaus jedoch auch für die Untersuchung jedes anderen komplexen physikalischen Systems. Die Methode der Bayes’schen Analyse könnte damit viel breitere Anwendung finden, als dies bisher wegen des gewaltigen Rechenaufwands möglich war.
Der mit 1000 Euro dotierte Doktorandenpreis wird Andrea Pavone auf der kommenden Plasmaphysik-Konferenz der Europäischen Physikalischen Gesellschaft verliehen, die vom 21. bis 25. Juni online stattfinden wird. Alle Preisträger werden dort ihre Arbeiten in einem Vortrag präsentieren.