Eine Alternative für die Energieversorgung von ASDEX Upgrade
Bei einem Ausfall des Schwungradgenerators EZ2 am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching wäre kein Ersatz verfügbar. Superkondensatoren könnten eine Lösung sein.
Hier beschreibt Elektroingenieur Antonio Magnanimo ein neues Konzept für die Stromversorgung des IPP-Tokamaks ASDEX Upgrade, das auf der Nutzung von Superkondensatoren basiert. Der Ansatz entstand im Rahmen seiner Doktorarbeit, die er im Juni abschloss. Inzwischen hat Dr. Magnanimo eine Stelle am MIT in den USA angetreten.
Drei unabhängige Schwungradgeneratoren liefern die elektrische Leistung für das Tokamak-Experiment ASDEX Upgrade am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching. Sie werden vor dem Start jedes Experiments mit bis zu 15 Megawatt für einige Minuten aufgeladen. Die gespeicherte Energie wird dann genutzt, um den hohen Leistungsbedarf während eines Experiments – Plasmapuls genannt – von bis zu 450 Megawatt zu decken. Die drei Schwungradgeneratoren wurden vor mehr als 30 Jahren eigens für dieses Experiment gebaut. Der größte, EZ2 Der größte, EZ2 (die Abkürzung steht für Energiezentrale 2) versorgt die Toroidalfeldspulen von ASDEX Upgrade mit Strom. Er stammt aus dem Jahr 1973 und könnte im Falle einer größeren Störung nicht ersetzt werden. Da sich der Markt für Schwungradgeneratoren in den letzten Jahrzehnten verändert hat, gibt es heute kein Unternehmen mehr, das einen Schwungradgenerator dieser Größe herstellen kann. Daher plant das Institut die Entwicklung eines alternativen Stromversorgungssystems mit hoher Leistung und Energie sowie vollständig steuerbarer Leistung.
Die erste Idee bestand darin, eine Machbarkeitsstudie über den Einsatz mehrerer kleinerer paralleler Schwungradgeneratoren durchzuführen. Sie sollten die gleiche Leistung erreichen, die von EZ2 gefordert wird. Aber dieser Ansatz war aufgrund von Synchronisationsproblemen nicht erfolgreich. Da also moderne Schwungradgeneratoren keine Option zu sein scheinen, beschloss das IPP, nach einer anderen Technologie mit ähnlicher Energie- und Leistungsdichte zu suchen. Herkömmliche Batterien haben eine ausreichend hohe Energiedichte, aber eine zu geringe Leistungsdichte, was zu einem enormen Überschuss an (ungenutzter) Energie führt, um die erforderliche Leistung zu erreichen. Kondensatoren hingegen haben eine sehr hohe Leistungsdichte, aber eine geringe Energiedichte was zu einer extrem teuren und übergroßen Anlage führen würde. Aus diesen Gründen beschloss man, die noch recht neue Technologie der Superkondensatoren zu erforschen, die sowohl in Bezug auf die Energie- als auch auf die Leistungsdichte ähnliche Kennwerte bietet wie die bisherigen Schwungradgeneratoren. Um die ASDEX Upgrade-Spulen mit der benötigten Energie zu versorgen, reichen Superkondensatoren allein jedoch nicht aus. Erforderlich ist ein geeigneter Stromrichter sowie ein ausgeklügeltes Sicherheitskonzept.
Wie die Idee für ein modulares System entstand
Es gibt bereits einige auf Superkondensatoren basierende Stromversorgungen für Fusionsanwendungen, aber alle diese Systeme verwenden Superkondensatoren in einfachster Verschaltungstechnik („Topologie“), d.h. ein einziger leistungsstarker Umrichter regelt den Energiefluss des gesamten Speichers. Diese Lösung könnte das Schwungrad EZ2 ersetzen, würde aber andererseits auch ein großes Risiko mit sich bringen: Superkondensatoren reagieren sehr empfindlich auf Überspannung und erzeugen im Fehlerfall einen elektrischen Kurzschluss. Wenn tausende Superkondensatorzellen durch Parallel- oder Reihenschaltung in direkter, elektrischer Verbindung miteinander stehen, so besteht das Risiko, dass sie ihre gesamte, gespeicherte Energie in die Fehlerstelle entladen. Dies käme einer gewaltigen Explosion gleich und die Anlage im Wert von Millionen Euro wäre auf einen Schlag verloren. Diese Sorge führte zur Suche nach einem modularen Konzept. Es entstand die Idee, Superkondensatoren in einen so genannten. modularen Multilevel-Umrichter zu integrieren. Dieser Umrichter besteht aus mehreren identischen kleinen Stromrichtermodulen (Submodule), die jeweils mit einer kleinen Anzahl von Superkondensatoren bestückt werden. Fällt ein einzelner Superkondensator aus, würde nicht mehr der gesamte Stromrichter beeinträchtigt – vielmehr könnte bei geeignetem Fehlermanagement sogar der Betrieb nahezu unbeeinträchtigt fortgeführt werden, da ja nur eine kleine Energiemenge wegfallen würde.
Derzeit gibt es auf dem freien Markt keine ähnliche Lösung wie die in meiner Dissertation beschriebene. Daher möchte man das Design so flexibel wie möglich halten. Im Bedarfsfall möchte man es an verschiedene Tokamak-Lasten (Poloidalfeldspulen, Heizsysteme...) oder sogar an Nicht-Fusionsanwendungen (z.B. solche für die Stabilität des Stromnetzes) anpassen können.
Aufbau von Superkondensatoren
Superkondensatoren sind bekannt für ihr ausgewogenes Verhältnis von Energie- und Leistungsdichte. Durch die hohe Leistungsdichte kommen sie für mehrere Anwendungen in Frage, werden aber hauptsächlich für unterbrechungsfreie Stromversorgungssysteme (USV) und Hybrid-Elektrofahrzeuge (HEV) eingesetzt. Für die Nutzung in reinen Elektroautos müssen sie mit einem Batteriesystem kombiniert werden. Superkondensatoren allein liefern nicht ausreichend Energie.
Im Grunde besteht ein Superkondensator wie ein gewöhnlicher Kondensator aus zwei Metallplatten, die durch einen Isolator getrennt sind. Der Separator ist jedoch porös und mit einem Elektrolyten getränkt, wirkt also wie ein (Ionen-)Leiter. Da sich die Ionen des Elektrolyten frei durch den Separator bewegen können, wandern positive und negative Ionen beim Anlegen einer Spannung in entgegengesetzte Richtungen und bleiben an den jeweiligen Elektroden haften.
Ein wichtiges Merkmal von Superkondensatoren: Die Elektroden sind mit Aktivkohle (porösem Kohlenstoff) ausgepolstert. Dadurch entsteht eine Oberfläche, die bis zu 100.000-mal so groß ist wie die eines gewöhnlichen Kondensators. Die große Oberfläche ist jedoch nicht die einzige Besonderheit von Superkondensatoren. Da die Ladungen von Ionen getragen werden, die an den Innenflächen der Elektroden haften und diese aus physikalischen Gründen (Helmholtzbarriere) bis zu Spannungen von wenigen Volt nicht durch Elektronen neutralisiert werden können, liegt der Abstand zwischen den positiven und negativen Ladungen an jeder Elektrode in der Größenordnung von einigen Angström (ein Angström entspricht etwa dem typischen Abstand zwischen Atomen in einem Kristallverbund und ist der zehnmillionste Teil eines Millimeters). Durch Maximierung der Oberfläche und Minimierung dieses Abstands erreichen Superkondensatoren extrem hohe Kapazitätswerte (tausende Farad pro Zelle). Wäre der Abstand zwischen den Elektroden einer einzigen Zelle ein Millimeter, so müsste die Elektrodenfläche so groß sein wie die Fläche von ganz Deutschland. Da der Abstand aber nur wenige Angström beträgt entspricht die effektive Fläche „nur“ der von etwa 30 Fußballfeldern.
Superkondensatoren für höhere Spannungen zu verwenden – das ist nur durch Superkondensatormodule möglich, die aus mehreren in Reihe geschalteten Zellen bestehen. Allerdings müssen in der Regel aktive oder passive Komponenten eingesetzt werden, um die internen Spannungen der Module gleichmäßig auszugleichen, was die Gesamtkosten und die Komplexität erhöht. Deshalb bieten Hersteller zusammengesetzte Module an, die Hunderte von Volt und Farad erreichen (Reihenschaltung erhöht die Spannung aber reduziert die Kapazität).
Anwendungen von Superkondensatoren in der Fusionsforschung.
Eine der ersten Fusionsanwendungen, bei denen Superkondensatoren zum Einsatz kamen, war PROTO-SPHERA in Italien, ein sog. „Spherical Tokamak“ bei dem man versucht den zentralen Transformator zu ersetzen. Ein weiteres Beispiel ist die Divertor-Tokamak-Testanlage (DTT), die derzeit in Italien gebaut wird. DTT ist ein großes Fusionsexperiment, das einen wichtigen Beitrag zu ITER und DEMO leisten soll, indem es das Problem der Leistungsabfuhr aus Fusionsplasmen untersucht. DTT besteht aus sechs Modulen, die den zentralen Transformator und sechs Poloidalfelspulen umfassen, die alle supraleitend sind. Sie sollen von unabhängigen Stromkreisen über Superkondensatoren versorgt werden.
Die Stromversorgungssysteme von PROTO-SPHERA und DTT sind beide so ausgelegt, dass bei einem größeren Ausfall das gesamte Superkondensatorsystem beschädigt würde – analog zum Ausfall eines Schwungrads bei ASDEX Upgrade. Eine Lösung, die einen Schwungradgenerator im IPP ersetzen könnte, muss in der Lage sein, den Betrieb auch bei lokalen kleineren Fehlern fortzusetzen.
Mein Konzept für ASDEX Upgrade basiert auf einem modularen Multilevel-Umrichter (MMC). Der MMC hat seit Beginn dieses Jahrhunderts beträchtliche Aufmerksamkeit erregt. Er ist zu einem der attraktivsten Wandler für Hochleistungsanwendungen geworden, wie Hochspannungs-Gleichstrom-Wandler (HGÜ) oder Bahnstromversorgungen, aber auch für Stromversorgungen von Fusionsexperimenten geworden. Dank der zahlreichen Ausgangsspannungslevel und der identischen Submodule, aus denen er sich zusammensetzt, stellt dieser Wandler eine vielversprechende Alternative zum Schwungradgenerator EZ2 dar. Durch das modulare Konzept wird die gesamte gespeicherte Energie in tausende kleinere Speicher aufgeteilt, die auch im Fehlerfall getrennt gehalten werden können.
Im Rahmen meiner Dissertation baute ich einen kleinen Demonstrator (Maßstab 1:550), um den entwickelten Umrichter mit einer Testlast zu prüfen. Er besteht aus vier identischen Submodulen, die seriell, parallel oder kombiniert seriell/parallel geschaltet werden können. Der Demonstrator sollte die Ergebnisse von Simulationen verifizieren, die ich zuvor mit dem PLECS-Softwaretool durchgeführt hatte. Bei dem Superkondensatormodul handelt es sich um eine maßgeschneiderte Lösung der Firma SPSCAP, die speziell für dieses Projekt entwickelt wurde. Das Modul besteht aus 48 in Reihe geschalteten Superkondensatorzellen, von denen jede eine Kapazität von 3.200 Farad und eine Nennspannung von 2,7 Volt hat. Das Modul enthält keine aktive Elektronik und wird als passive Einzelkomponente behandelt, obwohl es ein passives Ausgleichssystem für seine internen Zellen enthält.
Nach Entwurf und Test des einzelnen Submoduls, wurden drei weitere Submodule gebaut, um sie im seriellen, parallelen und kombiniert seriell-/parallelen Betrieb zu testen. Der serielle Betrieb diente dazu, die entwickelte Strategie der Echtzeitregelung zu erproben, der parallele Betrieb war entscheidend für die Skalierbarkeit des Systems. Mit der Kombination überprüfte ich die Integration beider Aspekte.
Ein System für ASDEX Upgrade müsste aus 2.200 Submodulen bestehen
Alle Tests bestätigten die Ergebnisse der Simulationen. Daher kann das entwickelte Modell als Referenz für die Skalierung des Prototyps auf ein größeres Gerät verwendet werden. Eine Schätzung ergibt, dass insgesamt 2200 Module erforderlich wären , um den Schwungradgenerator EZ2 zu ersetzen. Mit ca. 400 Kubikmetern würde die Gesamtkonstruktion ungefähr das gleiche Volumen benötigen wie die EZ2.
Auch wenn die Hauptziele des Projekts erreicht wurden, gibt es noch einige kritische Punkte, die vor dem Aufbau eines vollwertigen Umrichters zu beachten sind.
- Optimierung des Leistungsstufenfilters: Dieser ist notwendig um die Umrichter an die Superkondensatoren anzubinden. Aktuell nimmt er einen relativ großen Bauraum ein, was für eine große Anlage eine unnötige Platz- und Kostenverschwendung darstellt.
- Verlustreduzierung: Aufgrund der Hauptanwendung, für die dieser Prototyp gebaut wurde, stand die Verlustminimierung nicht im Mittelpunkt der Arbeit. Will man den vorgeschlagenen Umrichter für Anwendungen nutzen, bei denen niedrige Verluste eine hohe Priorität haben, muss dies berücksichtigt werden.
- Optimierung der Steuerung: Eine der Hauptgrenzen der Steuerung des Prototyps liegt in den verwendeten Standard-Mikrocontrollern, deren Geschwindigkeit durch eine Aufrüstung erheblich verbessert werden kann.
- Ausentwicklung der Kommunikations- und Sicherheitssysteme für den Dauerbetrieb bei voller Größe.
- Sichere Netzanbindung einer Anlage, die vermutlich schrittweise erweitert wird und von Anfang an sicher betrieben und getestet werden kann.
Ob darüber hinausweitere Komponenten angepasst werden müssen, ist eine Fragestellung, der sich zukünftige Entwickler je nach Anwendung der Anlage stellen müssen.
Der Bau eines Demonstrators war im Labor am IPP möglich. Um das Konzept in Richtung Vollausbau weiterzuentwickeln, ist es sicherlich ratsam, mit industriellen Partnern zusammenzuarbeiten.
Antonio Magnanimo
Doktorarbeit von Antonio Magnanimo: