Wendelstein 7-X startet neue Experimentphase
Nach einer einjährigen Wartungsphase nimmt der weltweit größte und leistungsfähigste Stellarator den Experimentbetrieb deutlich verbessert wieder auf. Eines der Ziele: Die Plasmatemperatur soll Schritt für Schritt gesteigert werden.
Nachdem Wendelstein 7-X im Februar 2023 ein Rekordplasma erzeugt hatte (8 Minuten Dauer bei 1,3 Gigajoule Energieabfuhr), wurde der Stellarator am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Greifswald planmäßig heruntergefahren. Seitdem hat das Wendelstein-7-X-Team die Maschine umfassend gewartet und um neue Aspekte erweitert.
W7-X startet nun am 10. September 2024 deutlich optimiert in die neue Experimentphase OP2.2. Es wurden zahllose Erweiterungen, Verbesserungen und Reparaturen am Wendelstein 7-X selbst, der Steuerung und Datenakquisition, den Heizsystemen und den knapp 50 verschiedenen Plasmadiagnostiken vorgenommen. Ein wichtiges Ziel dabei war die deutliche Verbesserung der Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit der Systeme, wozu eine systematische Ausfallanalyse (Failure Mode Analysis) durchgeführt wurde. Darüber hinaus wurden auch die wissenschaftlichen Möglichkeiten aller Systeme wesentlich erweitert und wichtige neue Beobachtungsinstrumente hinzugefügt.
Zwei der wichtigsten Erweiterungen:
- Es steht jetzt ein zusätzliches Heizungsmodul (Gyrotron), zur Verfügung, das deutlich mehr als 1 Megawatt Leistung über Mikrowellen ins Plasma koppeln kann. Diese Elektronen-Zyklotron-Resonanz-Heizung (ECRH) strahlt Mikrowellen mit genau der Frequenz in das Plasma, mit der die Elektronen im Plasma auf Schraubenbahnen um die Magnetfeldlinien zirkulieren. Bisher hatte Wendelstein 7-X zehn solcher Module, deren Leistung über mehrere Minuten Betrieb jeweils meist unterhalb von 1 Megawatt lag. In Summe waren 7,5 Megawatt über mehrere Minuten möglich. Das neue Modul soll in der Spitze bis zu 1,5 Megawatt liefern können. Für kommende Betriebsphasen sollen schrittweise zwölf solcher Gyrotrons zur Verfügung stehen. Damit wird sich die maximale ECRH-Leistung deutlich erhöhen. Die ECRH ist im Langpulsbetrieb der effizienteste und wichtigste Heizungstyp. Das neue ECRH-Modul wurde vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und von der französischen Firma Thales entwickelt. Es ist wohl das am weitesten entwickelte Gyrotron weltweit. Zusätzlich stehen dem W7-X-Team noch die neue Ionen -Zyklotron-Heizung (ICRH) und die verbesserte Neutralteilchen-Injektions-Heizung (NBI) zur Verfügung.
- Erstmals wird auch der neue Dauerbetrieb-Pellet-Injektor eingesetzt. Er wurde am Oak Ridge National Laboratory, einem Forschungszentrum des US-Energieministeriums (DOE), speziell für Wendelstein 7-X gebaut und ist in seiner Kategorie Weltspitze. Er dient dazu, den Nachschub an Wasserstoffteilchen ins Plasma sicherzustellen – ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem Kernfusions-Kraftwerk. Der Pellet-Injektor erzeugt lange Stangen aus gefrorenem Wasserstoff, aus denen in Abständen von Sekundenbruchteilen winzige Segmente (Pellets) abgeschnitten werden, um sie wie in einem Blasrohr mit großem Druck ins Plasma zu schießen.
Ziele der neuen Experimentkampagne
Im umfangreichen wissenschaftlichen Programm der neuen Messphasen OP2.2 und OP2.3 geht es vorrangig darum, die Leistungsparameter für die erzeugten Plasmen schrittweise zu erhöhen. In der letzten Messphase OP2.1 gelang es, die Ionen im Plasma kurzzeitig auf etwa 35 Millionen Grad Celsius zu heizen (Plasmaphysiker drücken es in der Größe 3 Kiloelektronenvolt aus) und die Wärmenergie sowie die Teilchen kontrolliert über den Divertor (das hitzebeständigste Bauteil) abzuführen. Künftig soll das über Zeiträume von mehreren Minuten bei höheren Plasmatemperaturen möglich sein. „Wir nähern uns Schritt für Schritt höheren Heizleistungen an“, sagt IPP-Direktor Prof. Thomas Klinger. „Einerseits geht es darum, die Belastungsgrenzen von Wärmelasten auf die Graphitwände von W7-X vorsichtig auszutesten. Andererseits wollen wir turbulenzgesteuerte Transportprozesse im Plasma und die Abfuhr von Wärme und Teilchen verstehen.“
Anders als in der letzten Experimentphase strebt das W7-X-Team diesmal keine neuen Rekorde bei der Plasmadauer an, allerdings beim Energieumsatz, d.h. der Gleichzeitigkeit von Plasmadauer und hoher Heizleistung. „Es wäre möglich, aber wissenschaftlich von geringem Wert, jetzt lange Plasmapulse bei geringen Leistungswerten zu erzeugen“, erklärt Prof. Klinger. „Die Kunst ist, lange Pulse bei hohen Plasmatemperaturen zu schaffen. Und daran arbeiten wir gerade.“
Der derzeitige Zeitplan für die nächsten Experimentphasen von Wendelstein 7-X:
OP2.2: September 2024 – Dezember 2024
OP2.3: Februar 2025 – Mai 2025
Wartung: Juni 2025 – August 2026
OP2.4: August 2026 – Dezember 2026
OP2.5: Februar 2027 – Mai 2027